Die Kehrseite der Medaille

„Sei vorsichtig, mit dem was du dir wünscht. Es könnte in Erfüllung gehen.“

Das trifft auch bei Hunden zu. Werfen wir einen Blick auf die Wünsche, die ich oft zu hören bekomme:

1. „Ich möchte einen freundlichen Hund.“

Der Klassiker! Vermutlich wählen aus diesem Grund viele – vor allem Familien – den Labrador als Rasse aus. Was soll an diesem Wunsch „falsch“ sein, werden Sie sich vielleicht fragen. Ich mag auch freundliche Hunde und auch freundliche Menschen. Was ich aber nicht mag: wenn mich wildfremde Menschen im Supermarkt anfangen herzlich zu umarmen und zu küssen. Hier wünsche ich mir eher zurückhaltendes Desinteresse. Denn: auch Freundlichkeit hat Grenzen.

Zu mir hat jemand mal gesagt:
Wenn der Labrador ein Mensch wäre, würde er bei Ihnen an der Tür klingeln, Sie unaufgefordert stürmisch umarmen, anschließend in Ihr Schlafzimmer gehen und sich auf Ihr Bett schmeißen.

Denn was geht mit Freundlichkeit oft einher? Distanzlosigkeit. Also: Unterschreitung der Individualdistanz des Gegenübers – sei es Hund oder Mensch. Das kann man tatsächlich recht häufig beim Labrador beobachten, der gerne unaufgefordert in jeden „reinrennt“, dem er über den Weg läuft. In der Regel ist ein solcher Hund nicht nur freundlich zu den Menschen und Hunden, die er kennt. Nein. Er liebt ALLE Menschen und Hunde! Das wird den Menschen meist erst bewusst, wenn der Hund beim Spaziergang alles und jeden begrüßen möchte. Ist der Hund noch klein und niedlich macht das Menschen in der Regel nichts aus. Ein 30 kg Labbi mit Matschpfoten, der an jemandem mit schicker Kleidung hochspringt…  

“Er ist nur freundlich!“ können Sie dann rufen.

Ob der Mensch, der anschließend nach Hause gehen kann, um sich umzuziehen, es wohl auch so sieht?

 

2. „Ich möchte einen schlauen Hund.“

Menschen lieben Intelligenz. Bei sich selbst, bei ihren Kindern und natürlich auch bei Hunden (und anderen Tieren). Nicht umsonst gilt „du dummer Hund“ als Beleidigung. Intelligenz ist natürlich eine Definitionssache. Ein Hund, der in der Lage ist aus 100 Spielzeugen auf Kommando ein bestimmtes auszusuchen, gilt als intelligent. Einem Straßenhund hilft das nicht weiter. Dieser muss wissen, wo es die besten Spots gibt, um Essen abzugreifen. Hier zeigt sich meist die wahre Intelligenz. Aber zurück zum Thema. Schlaue Hunde erkennen Zusammenhänge viel schneller und nutzen diese zu ihrem Vorteil. Außerdem sind sie bei Denkaufgaben schnell gelangweilt. Es erfordert mehr Kreativität von Ihrer Seite, einen solchen Charakter zu beschäftigen. Meist reicht beim derzeit beliebtesten intelligenten Hund – dem Australian Shepherd – 1 Durchgang und er hat begriffen, worum es geht. Ehe Sie sich versehen, haben Sie eine unerwünschte Handlungskette aufgebaut, die sich nicht mehr so leicht auflösen lässt. Ein weniger schlauer Hund „verzeiht“ mehr Fehler bei der Erziehung und braucht länger, um Zusammenhänge zu verstehen. Das kann durchaus ein Vorteil sein, vor allem bei hunde-unerfahrenen Menschen.

 

3. „Ich möchte einen Hund, der mich beschützt.“

Am besten einen Herdenschutzhund oder einen Riesenschnauzer. Die sehen so imposant aus und schlagen jeden Einbrecher in die Flucht. Eine tolle Vorstellung. Kommen wir zur Realität. Territoriale Hunde verteidigen das Grundstück und noch mehr (wer sagt denn, dass der Gehweg vor dem Haus und die Standard-Gassistrecke nicht auch noch zum Territorium gehören?) – gegen jeden, den sie nicht als „Freund“ kennengelernt haben (und selbst bei Freunden kann es zu einem Thema werden, wenn sie im Gästezimmer übernachten und auf die Idee kommen, nachts auf die Toilette zu gehen).

Der Postbote möchte durch das Gartentor gehen, um ein Paket auf der Terrasse abzulegen, so wie er es immer schon gemacht hat? Keine gute Idee, wenn Sie einen sehr territorialen Hund besitzen. Der Hund macht nämlich wie der Postbote auch seinen Job und wird sehr deutlich zeigen, dass er sich gerade beim Falschen auf dem Grundstück befindet.

Zudem können territoriale Rassen eine Tendenz zur Unverträglichkeit mit gleichgeschlechtlichen Artgenossen haben, was bei Spaziergängen zu einem großen Thema werden kann.

Ein territorialer Hund kann sinnvoll sein, wenn Sie abseits der Zivilisation leben und sich sicherer fühlen einen solchen Hund in Ihrem Haus zu haben. Oder wenn Sie eine Schafsherde zu bewachen haben. Oder, wenn es Ihr Grundstück und Ihre Lebensweise hergeben bzw. Sie bereit sind, diese anzupassen, um einem solchen Hund gerecht zu werden.  Allen anderen empfehle ich eine Alarmanlage und Kameras.

 

4. „Ich möchte einen besonderen Hund, einen, den nicht jeder hat.“

Möchten wir das nicht alle? Besonders sein. Individuell. Wir drücken es in unserer Kleidung aus, mit unseren Haaren und eben auch mit unseren Hunden. Ich schließe mich da nicht aus. Was meinen Sie, wie oft wir auf unsere Shiba Inu Hündin Amy angesprochen werden, wenn wir mit ihr im Urlaub spazieren gehen? Natürlich fühlt es sich toll an. Man fühlt sich gleich etwas aufgewertet (abstrus, oder? Als wäre Amys Erscheinungsbild mein Verdienst)

Dennoch. Auch hier gibt es eine Kehrseite. Denn „besonders“ kann auch einhergehen mit krank.

Merke: Keine Form ohne Funktion. Keine Farbe ohne Funktion.

Wenn ich mir zum Beispiel einen Dalmatiner aussuche („die sieht man mittlerweile so selten“), dann muss mir klar sein, dass die Pigmente, die für Fell- und Augenfärbung verantwortlich sind u.a. auch eine Rolle spielen beim Hören. Und schon haben wir den Salat: so schön die Hunde auch aussehen mögen, die Wahrscheinlichkeit einen tauben Welpen zu bekommen ist bei Dalmatinern größer als bei den meisten anderen Rassen. Dazu am besten noch blaue Augen und schon klettern Sie auf der Skala der Taubheitswahrscheinlichkeit weiter nach oben.


Bleiben wir bei der Fellfarbe. Was ich in letzter Zeit immer öfter sehe, sind Hunde mit auffällig geschecktem Fell. Der Klassiker hier ist der Australian Shepherd. Ich sehe aber mittlerweile auch Dackel, Labradore und französische Bulldogen (über die ich ein eigenes Kapitel in Bezug auf „Der Mensch spielt mal wieder Gott und verkackt es“ schreiben könnte) mit dieser Fellzeichnung.

Verantwortlich für diese Fellfärbung ist eine genetische Mutation. Der Merle-Faktor. 
Zwei Hunde mit Merlefaktor dürfen nicht miteinander verpaart werden, da dies in Deutschland als Qualzucht gilt und das Risiko von Erkrankungen massiv erhöht. Hier reden wir wieder von Taubheit, aber auch von Missbildungen der Augen, Skelettdeformierungen und auch von Tot-Geburten.

Nun meine Frage an Sie: Ist es das wert? Diesen Preis zu zahlen (oder besser gesagt: den Preis, den der Hund zahlt), um einen „besonderen“ Hund zu haben?

 

Neben der Fellfärbung gibt es natürlich weitere Merkmale, die einen „besonderen“ Hund ausmachen. Die Rasse, die Körperform oder auch die Größe des Tieres. Hier haben wir die Dogge als Extrem auf der einen Seite und die derzeit beliebten Teacup-Rassen auf der anderen Seite. Warum Teacup? Weil der Hund so klein sein soll, dass er in eine Tasse passt. Ich werde hier nicht aufführen, welche gesundheitlichen Folgen sowohl der Riesen- als auch der Zwergwuchs haben. Nur so viel: beides sollte verboten werden.

 

Nach diesen 4 Beispielen aus dem Wünsch-Dir-Was-Universum möchte ich noch folgende Punkte anmerken:

 

-          Ja, es gibt sie. Die Hunde, die die Rassebeschreibung nicht gelesen haben und so ganz anders sind als sie in Medien und von Züchtern propagiert werden (und auch wie von mir oben beschrieben wurden). Es gibt Herdenschutzhunde, die schwanzwedelnd jeden Fremden begrüßen, ohne dass die Menschen das jemals trainiert hätten.
Merke: Alle Verhaltensweisen treten in jeder Rasse auf – ABER: mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit einen bellfreudigen Beagle zu bekommen ist deutlich höher als einen bellfreudigen Shiba Inu.

-          Nicht zu vergessen: neben Genetik spielen natürlich (vorgeburtliche) Erfahrungen und Erziehung eine entscheidende Rolle. Aber: einem Labrador das Approtieren beizubringen wird ein deutlich leichteres Unterfangen werden als einem afghanischen Windhund.

-          Wenn Sie ganz sicher sein wollen, dass der Hund in Ihr Leben passt, dann gehen Sie in ein Tierheim und lernen den Hund in aller Ruhe kennen (bei Spaziergängen, Probetagen und durch Erzählungen der Mitarbeiter). Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie bei solch sorgfältiger Auswahl eine Überraschung erleben, ist geringer als bei einem Welpen.

-          Wenn Sie dennoch einen Welpen einer bestimmten Rasse möchten:
Informieren Sie sich, wie gesund die Rasse ist (in Bezug auf Größe, Fellfärbung, Inzuchtgrad, häufig vorkommende Krankheiten, etc.) und wählen Sie einen verantwortungsvollen Züchter aus. Lesen Sie sich die Rassebeschreibung genau durch und vor allem für was die Rasse ursprünglich gezüchtet wurde. Passt das zu Ihrem Lebensstil?
Seien Sie offen! Empfangen Sie den Welpen als Individuum, überladen Sie ihn nicht mit Ihren Ansprüchen, wie er zu sein hat und akzeptieren Sie, dass er vielleicht anders ist als anderer Vertreter seiner Rasse. Das ist doch auch etwas Besonderes, oder?