Von Wasserspritzpistolen und Klapperdosen

Da ich in letzter Zeit wieder häufiger erlebe, dass Wasserpistolen, Wurfketten oder andere schreckauslösende Mittel zur Verhaltenskorrektur eingesetzt werden, ist es mir ein Anliegen, hierüber aufzuklären.

 

Die Idee dahinter:

Aus verschiedenen Experimenten der Verhaltensforschung weiß man, dass Lebewesen ihr Verhalten anpassen, wenn das Verhalten eine Konsequenz hat - angenehm oder unangenehm. Man spricht von Verstärkung, wenn etwas Angenehmes folgt (das Verhalten wird nun vermehrt gezeigt) und von Strafe, wenn etwas Unangenehmes folgt (das Verhalten tritt weniger oder gar nicht mehr auf). Wasserspritzpistolen, Klapperdosen und Co. sind dafür gedacht, ein aus menschlicher Sicht unerwünschtes Verhalten des Hundes zu beenden. Hierbei handelt es sich um positive Strafe, denn: etwas Unangenehmes (Strafe) wird hinzugefügt (positiv, im mathematischen Sinne). In dem Moment, in dem der Hund ein spezielles Verhalten zeigt, erfolgt der Schreckreiz – er wird nassgespritzt oder ein lautes Geräusch ertönt. Dadurch soll er lernen, dass sein Verhalten eine unangenehme Konsequenz hat und deshalb dieses Verhalten ab sofort weniger oder nicht mehr auftritt. In Laborexperimenten wurde nachgewiesen, dass diese Form der Verhaltensänderung funktioniert. Das Ziel bei der positiven Strafe ist, dass das unerwünschte Verhalten bereits nach einem oder wenigen Durchgängen ausbleibt oder durch ein Wort ersetzt wird, auf das der Hund genauso reagiert wie auf den Schreckreiz.

 

Es gibt neben der positiven Strafe auch noch die negative Strafe sowie die positive und die negative Verstärkung. Im heutigen Beitrag soll es allerdings ausschließlich um die positive Strafe gehen, die ich hier vereinfacht Strafe nenne.

 

Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen:  

Vordergründig wirkt es, als wäre strafen einfach. Man muss kein Experte sein, um eine Klapperdose zu werfen. Doch der gewünschte Effekt kann nur eintreten, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind.

 

1.   Timing: damit der Hund sein Verhalten mit der Strafe verknüpft, muss die Strafe das Verhalten unterbrechen oder unmittelbar darauf erfolgen, am besten innerhalb von einer Sekunde.

2.   Intensität: die Strafe muss so intensiv sein, dass der Hund das Verhalten sofort unterbindet. Ist sie zu schwach, wird keine Verhaltensänderung erfolgen, ist sie allerdings zu stark, besteht die Gefahr, dass der Hund traumatisiert oder sogar verletzt wird. Die richtige Intensität zu wählen, ist extrem schwierig. Manche Hunde erstarren schon vor Schreck, wenn man etwas Druck in die Stimme gibt, andere laufen auch dann noch dem Reh hinterher, wenn der Mensch mehrfach den Auslöser des Stromhalsbandes gedrückt hat (dessen Verwendung in Deutschland verboten ist).

3.   Die Strafe muss immer erfolgen, ohne Ausnahme: immer, wenn der Hund das Verhalten zeigt, muss gestraft werden. Wenn Sie nur hin und wieder strafen, wird sich das unerwünschte Verhalten mit großer Wahrscheinlichkeit nicht reduzieren. Hat der Hund gelernt, dass das Verhalten nicht immer eine unangenehme Folge hat, wird er – je nach Ursache des Verhaltens - entweder Wege finden die Strafe zu umgehen, indem er schneller oder früher reagiert oder er wird die Strafe in Kauf nehmen, in der Hoffnung dass es dieses Mal keine Bestrafung gibt.

 

Im Labor mag die positive Strafe funktionieren, doch im Alltag halte ich es für schwierig, den Hund korrekt zu strafen. Die oben genannten Voraussetzungen zu erfüllen ist schon sehr anspruchsvoll. Doch dies auch noch zu tun, wenn man selbst aufgeregt, gestresst oder wütend ist – in diesen Fällen wird meistens gestraft – halte ich für nahezu unmöglich. In diesem Zustand kann der Mensch weder Intensität noch Timing genau bestimmen.

 

Vielleicht fragen Sie sich nun: warum funktioniert Strafe trotzdem? Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten.

 

1.   In manchen Fällen reicht ein Durchgang, um das Verhalten zu verändern. Das hängt u.a. von der Persönlichkeit und Motivation des Hundes ab. Beispiel: Sie kommen von der Arbeit und in dem Moment in dem Ihr Hund Sie vor Freude zur Begrüßung anspringt, spritzen Sie ihn mit der Sprühflasche nass. Es kann sein, dass er nach nur einem Durchgang den Zusammenhang zwischen „Mensch kommt durch die Tür“ und „unangenehmes Gefühl“ verstanden hat und Sie am nächsten Tag nicht mehr freudig begrüßt, vielleicht auch einfach gar nicht mehr begrüßt.

2.   Es kann auch sein, dass der Hund nicht den Zusammenhang zwischen der Strafe und seinem Verhalten erkennt, ihm aber sehr wohl der Zusammenhang zwischen der Anwesenheit der Sprühflasche und der Strafe bewusst ist, d.h. er zeigt das unerwünschte Verhalten immer dann nicht, wenn die Sprühflasche anwesend ist.

3.   Gelernte Hilflosigkeit, ein Begriff aus der Verhaltensforschung, und meiner Meinung nach ein Punkt, der viel zu wenig in Betracht gezogen wird. Das Lebewesen sieht sich einer Umwelt ausgesetzt, die es nicht bewusst beeinflussen kann und zeigt daraus resultierend passives und widerstandsloses Verhalten. Bereits in den 60iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde dies in Studien mit Hunden nachgewiesen. Hierzu gab es mehrere Gruppen mit Hunden, die Stromschlägen ausgesetzt waren. Die Hunde, die durch ihr Verhalten die Stromschläge verhindern konnten, zeigten auch in anders aufgebauten Tests, aktives Verhalten, um den Stromschlägen zu entgehen. Die Hunde jedoch, die durch ihr Verhalten die Stromschläge nicht vermeiden konnten, zeigten in späteren Tests keine Motivation zur Handlung oder Reaktion. Sie hatten einen Kontrollverlust erfahren und waren später nicht in der Lage aus ihrer Passivität herauszukommen.

Im Alltag sind das meist die Hunde, die als „brav“ bezeichnet werden und ohne einen Mucks zu machen neben dem Menschen herlaufen. Wenn die Hunde nicht verstehen, warum sie gestraft werden und dies als willkürlich einstufen, besteht die Gefahr der gelernten Hilflosigkeit. Da sie nicht wissen, welches Verhalten die Strafe auslöst, zeigen sie einfach kein Verhalten mehr.
Der ein oder andere wird nun sicherlich anmerken, dass man Stromschläge aus den Tests nicht "mit dem bisschen Wasser" vergleichen kann. Das Empfinden von Strafe ist sehr individuell. Für geräuschempfindliche Hunde kann die Klapperdose traumatisierend wirken und auch die Nebenwirkungen einer Sprühflasche sollten Sie nicht unterschätzen. Außerdem MUSS es einen Schreckreiz geben sonst funktioniert das Prinzip der Strafe nicht.

4.   Eine weitere Möglichkeit ist, dass Strafe nur kurzzeitig funktioniert. Wenn die Bedingungen für die Strafe nicht erfüllt werden, kann es sein, dass nach anfänglichen Erfolgen das unerwünschte Verhalten wieder zu Tage tritt. Es kommt zu einem Gewöhnungseffekt. Der Hund stumpft ab und reagiert auf den Schreckreiz nicht mehr mit Meideverhalten, sondern zeigt wieder das unerwünschte Verhalten, manchmal sogar stärker als zuvor.

 

Die Problematik der Strafe:

1.   Die im Labor durchgeführten Tests waren alle relativ emotionslos. Wenn die Tiere einen Hebel betätigten, bekamen sie entweder eine Belohnung oder einen Stromschlag. Je nachdem, was gerade getestet wurde, betätigten die Tiere häufiger den Hebel, um an die Belohnung zu kommen oder stellten dieses Verhalten ein, um der Strafe zu entgehen. Für die Tiere gab es keinen inneren Antrieb, den Hebel zu betätigen oder es sein zu lassen. Lediglich die Konsequenz daraus bestimmte ihr Verhalten.

Ich würde behaupten, dass im Alltag die meisten Probleme, die Menschen mit ihren Hunden haben daraus resultieren, dass die Hunde einen inneren Antrieb haben, das Verhalten zu zeigen. Dem Verhalten liegt eine Emotion zugrunde und die ändert sich nicht, wenn gestraft wird. Mein Hund wird seinen Erzfeind zum Beispiel immer noch scheiße finden, ob ich ihn nun nass spritze oder nicht. Zusätzlich sorge ich aber dafür, dass neben der negativen Emotion bei Anblick des Erzfeindes noch zusätzlich Unbehagen, Angst oder Schmerz durch meine Trainingsmethode hinzukommen.

2.   Was man bei der positiven Strafe völlig außer Acht lässt ist die Ursache des Verhaltens. Hunde zeigen nicht einfach aus Spaß ein Verhalten. Es gibt immer einen Grund dafür. In vielen Fällen sind es Angst und Unsicherheit, manchmal auch Schmerzen oder wie zum Beispiel beim Hochspringen an Menschen die überbordende Freude. Ist es vertretbar einen Hund zu strafen der Angst hat, unsicher ist, Schmerzen hat oder sich freut? Und ändert sich die Einstellung des Hundes dann in dem Moment, in dem ich strafe oder versucht er in Zukunft einfach nur der Strafe zu entgehen? Er wird sich sicherlich weniger über mich freuen, weil er weiß, dass er gestraft wird (möchte ich das?). Doch er wird mindestens genauso unsicher und ängstlich auf den Reiz reagieren, wie vorher und er wird auch die gleichen Schmerzen haben, denn die werden durch die Strafe auch nicht weniger. Ist es dann nicht geschickter erst mal Ursachenforschung zu betreiben und dann das Training so anzupassen, dass der Hund sich anders fühlt? Zum Beispiel, dass er selbstbewusster wird, dass er seinem Menschen vertraut und dadurch seine Ängstlichkeit ablegen kann, dass er richtig behandelt wird, damit er ohne Schmerzen durchs Leben gehen kann oder dass er lernt mit seiner überbordenden Freude anders umzugehen als einen Menschen anzuspringen?

3.   Wenn man über positive Strafe arbeitet, ist man praktisch permanent auf Fehlersuche. Man wartet nur darauf, dass der Hund das unerwünschte Verhalten zeigt, um punktgenau strafen zu können. Ist das nicht furchtbar? Ich lauere darauf, dass mein Hund einen Fehler macht? Durch den Fokus auf das unerwünschte Verhalten treten oft die vielen schönen Verhaltensweisen, die der Hund zeigt in den Hintergrund. Das ist sehr schade. Hier hätte man nämlich die Möglichkeit seinen Hund zu loben, zu belohnen oder sich einfach an ihm zu erfreuen.

4.   Was verknüpft der Hund?

Das ist eine sehr gute Frage. Hier ein Beispiel aus meinem Leben als Hundehalterin: mein vorheriger Rüde lief auf einer unserer gewohnten Gassi-Strecken an einen Stromzaun und erschreckte sich so sehr, dass ich mehrere Wochen nicht mehr diese Gassi-Strecke mit ihm gehen konnte. Sobald wir uns nur in die Richtung bewegten blieb er stehen und weigerte sich, weiterzulaufen. Er hatte nicht verstanden, dass seine Nähe am Zaun den Stromschlag ausgelöst hatte. Er hat die komplette Umgebung mit dem Schmerzreiz verknüpft und beschlossen, dass es am sichersten war, diese Strecke zu meiden.
Genauso wenig wie ich bei meinem damaligen Rüden vorhersagen konnte, dass er nach dem Vorfall mit dem Elektrozaun plötzlich eine unserer Standard-Gassistrecken meidet, genauso wenig könnte ich vorhersagen, was Ihr Hund verknüpft, wenn ich ihn in dem Moment, in dem er einen anderen Hund anbellt, nassspritze und damit erschrecke.

5.  Strafe hat Nebenwirkungen. Strafe kann das Vertrauensverhältnis zerstören, das Selbstbewusstsein des Hundes negativ beeinflussen, sie kann zu Stress führen und zu verstärkter Unsicherheit. Aus der Kindererziehung weiß man, dass Strafe langfristige Folgen haben kann.  Warum spritzt man Kleinkinder nicht nass oder lässt eine laute Klapperdose neben ihnen zu Boden fallen, wenn sie sich „falsch“ benehmen? Warum werden Kinder in der Schule nicht mehr gezüchtigt, wie es bei meinen Eltern noch der Fall war? Die Methoden haben doch funktioniert. Weil wir mittlerweile schlauer sind und es besser wissen. 

 

Ja, Strafe funktioniert – unter bestimmten Voraussetzungen. Strafe gehört zum Leben dazu. Es ist eine Form des Lernens. Ich habe als Kind nur einmal an ein heißes Bügeleisen gefasst und es seitdem kein zweites Mal versucht. Auch Hunde erleben Strafe, das lässt sich nicht verhindern. Strafe beeinflusst Verhalten. 

Setze ich deshalb im Training Sprühflasche und Co. ein? NEIN! Einfach, weil es auch freundlich geht, weil es fair geht und weil ein respektvoller Umgang mit seinem vierbeinigen Familienmitglied anders aussieht.

 

Mir ist bewusst, dass der Leidensdruck bei vielen Menschen sehr hoch ist und sie aus Verzweiflung zu derartigen Methoden greifen. Doch der Leidensdruck des Hundes ist nicht minder groß. Ich bin mir sicher, dass sich die meisten Hunde lieber entspannt durch die Welt schnuppern würden, anstatt beim Anblick eines Hundes auszurasten.

Außerdem ist nicht immer, aber in vielen Fällen das unerwünschte Verhalten menschengemacht. Dass mein Rüde überhaupt einen Erzfeind hat, liegt einzig und allein daran, dass ich während seiner Welpenzeit nicht richtig aufgepasst habe. Soll ich IHN nun für MEIN Fehlverhalten aus der Vergangenheit strafen? Das wäre unfair. 

Egal wie groß die Verzweiflung ist, es ist eine Frage der Fairness, dem Hund die Zeit zu geben, ein anderes Verhalten zu erlernen und ihn sicher durch die Welt zu führen.

 

Noch eine Anmerkung zum Schluss:

Das Themengebiet ist sehr komplex und mit diesem Beitrag kann ich nur einen kleinen Einblick liefern. Der Netz ist voll von sehr guten Artikeln zu dem Thema. Wenn Sie sich hierfür interessieren, rate ich Ihnen nach den folgenden Begriffen zu suchen: positive Strafe, B. F. Skinner, Skinnerbox, operante Konditionierung, Sprühflasche Hundetraining.